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Werkzeuge der Kollaboration – was ich dank Richard Sennett hierüber gelernt habe

“Es geht hier nicht um Ruderboote”. Richard Sennett, US-amerikanischer Soziologe und Hauptredner des diesjährigen Work in Progress Kongress der Kreativgesellschaft auf Kampnagel, weiß seine komplexen Gedankengänge in verständliche Bilder zu fassen. Wenn er von Zusammenarbeit (Cooperation) spricht, meint er keinesfalls homogene, leistungsorientierte Teams, die im Gleichtakt auf ein Ziel hin rudern. Sein Vortrag beschreibt viel mehr die Arbeitsbeziehungen in heterogenen Gruppen, die bereits heute eher die Regel als die Ausnahme sind. Denn in einer immer vernetzteren Welt arbeiten jeder zwangsläufig immer öfters mit anderen zusammen, die er kaum kennt und mit denen kein langjähriges Vertrauensverhältnis besteht. Projektteams werden global gesourct auf Basis individueller Kompetenzen. Eher selten bleibt so ein Team über die gestellte Aufgabe hinweg bestehen, den das nächste Projekt benötigt meist eine andere Zusammensetzung.

sennett

Wie also aus der scheinbaren Not eine Tugend machen? Sennett unterstreicht zunächst wie wichtig es ist, Differenzen zwischen den Menschen zu betonen, Unterschiede anzuerkennen. Viel zu schnell wird das scheinbar Gemeinsame herausgekehrt. Jeder kennt das aus seiner Arbeit, Sprüche wie “wir sitzen doch alle in einem Boot” oder “wir sind doch alle Social Media Experten” übertünchen Verschiedenheit. Solche Rufe nach Solidarität sieht Sennett als Haupthindernis, um Unterschiede produktiv zu nutzen.
Denn ihm geht es vor allem um eins: Kreativiät zu entfalten – und diese braucht zum Gelingen gelebte Differenzen.

Und er präsentiert dazu vier konkrete Kooperationswerkzeuge um dies zu bewerkstelligen. Die ersten beiden beschreiben die Art und Weise differenzbetont zu Kommunizieren:

Nr. 1 Unbefangenes Zuhören (Dialogic). Ich verstehe dies als ein Zuhören, was die eigene Tendenz zum schnellen (Wert-)Urteil oder Schubladisieren dessen, was ich von meinem Gegenüber erfahre, hinauszögert. Ganz davon lassen kann sicher keiner, aber ein Stück weit “Disorder” oder die Chaotic der Welt aushalten, darum geht es.

Nr. 2 Ergebnisoffen Reden (Subjunctive Voice), d.h. im eigenen Sprechen Ambivalenzen zulassen statt “Befehle zu verkünden”. Das hilft dem Zuhörenden eigene kommunikative Anknüpfungspunkte zu finden und den Dialog weiterzuführen.

Neben der verbalen Kommunikation spielt der non-verbale Kontext, in den eine Kollaboration eingebunden ist, eine wesentliche Rolle. Werkzeug Nr. 3 ist daher ein informeller Umgang der Interpretationsräume eröffnet und nicht durch Formalitäten einschränkt.

Das Salz in der kollaborativen Suppe sind schließlich unsere Emotionen. Sennetts Nr. 4 heißt Empathie empfinden für den anderen. Sich hinfühlen zu können in mein Gegenüber, ohne dabei in Gefühlsschwärmerei abzugleiten. Sennett benutzt als Abgrenzung zur engverwandten Sympathie das Bild vom Thermometer. “Empathy is several degrees cooler than sympathy”.

Vier scheinbar einfache Dinge, um die Differenzen “zum Tanzen” zu bringen und kreativ zu kollaborieren in der vernetzen Welt. Aber ist das wirklich so einfach? Die entscheidende Frage kam beim Vortrag auf Kampnagel aus dem Publikum. Wie viel Unterschiedlichkeit hält eine Gesellschaft aus, in der Menschen sich bevorzugt mit Gleichgesinnten zusammen tun, in Stadtteile ziehen, wo andere mit ähnlichen Lebensentwürfen und Einkommen leben, und die Algorithmen der großen Netzwerkplattformen uns in der Regel Menschen zuordnen, die ähnliches gekauft, geliked, gehört haben? Sennett hat darauf eine schlichte Antwort: Es kommt auf den einzelnen an und das jeder zuerst in sich ruht und bei sich bleibt. Sicher kein leichtes Unterfangen, wenn ständig der Druck nach Konformität auf einen wirkt.

Meiner Meinung braucht es noch ein weiteres, um diesem Druck entgegen zu wirken. Etwas, das für die Entfaltung von Kreativität ebenfalls ganz wichtig ist: den Mut zu Scheitern. Eine kollaborative Unternehmung, bei der dies gelebte Kultur ist, kann besonderes erreichen.

Zusammenfassung:




Ergänzend hier ein Artikel mit einem anderen Blickwinkel zum selben Vortrag von Richard Sennett:
“Richard Sennett – Sympathie hilft nicht bei der Findung einer Geschäftsidee” von Smart Business Concepts

Moritz Avenarius ist systemischer Innovationsberater für Entwicklungsprozesse in die digitale Zukunft. Er hilft Unternehmen Ihre Innovationsdynamik zu steigern.

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