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Wie kommt das Neue in die Welt: Innovation und Systemtheorie zusammen gedacht

Ein gemeinsamer Beitrag von Marion Schenk, SIFB und Moritz Avenarius, Zukunftslotse Hamburg

„Wandel und Innovation können wir nur „in den Ketten des Alten“ hervorbringen.“
Günther Ortmann (2016)

Wann setzen sich Innovationen in Organisationen durch? Was fördert den Prozess des Innovierens? Und ist Innovation eigentlich immer nötig und sinnvoll? Eine wichtige Leitplanke – neben dem Wissen über Innovationstechniken und ‑methoden – sind bei der Beantwortung dieser Fragen die Beobachtungsfolien, die uns die Systemtheorie und ein systemtheoretisches Verständnis von Organisationen liefern.

Es scheint, als würden fast alle Organisationen sich um Innovation bemühen. Innovative Produkte müssen her, innovative neue Arbeitsweisen werden gesucht. Mithilfe von Kreativitätsworkshops, Innovationsberatung, Design Thinking und anderen Methoden, sowie neuen agilen Einheiten, die sich ganz dem Thema widmen, soll dem „göttlichen Zufall“ auf die Sprünge geholfen werden. Die Unverfügbarkeit von echter Innovation macht sie so begehrenswert.

Die Praxis ist oft enttäuschend. Vermeintlich Neues zeigt nicht immer die gewünschte Strahlkraft und häufig verpufft die Aufbruchsdynamik in nutzloser Spielerei. Dann kommen Fragen auf: Was ist mit „normaler“ Weiterentwicklung, Anpassung und Adaption? Und wie gehen wir mit möglichen negativen Aspekten von Innovationen um?

Innovationen sind stets von Paradoxien begleitet. Da ist der Versuch, Neues aus den Elementen des Bekannten herzustellen, oder das „Tanzen in Ketten“ wie es Ortmann beschreibt. Die Problemlösungen von heute werden möglicherweise die Probleme von morgen werden. Wie soll man aktiv den Zufall und Kreativität – die ja auch unverfügbar ist – beschleunigen und befeuern?

 

 

1. Was ist eigentlich das Neue und wie entsteht es?
Neues entsteht aus Abweichungen. Um es präziser in Begriffe zu fassen, hilft es den aus der Evolutionstheorie entlehnten Prozess von Variation – Selektion – Re-Stabilisierung zu nutzen.

Variationen (Abweichungen) treten ständig auf und verschwinden auch schnell wieder, ohne dass sie zur Innovation werden. Sie sind für sich nichts Außergewöhnliches. Spannend wird es erst, wenn eine Variation bleibt und über ihre weitere Verwendung entschieden werden muss. Nun heißt es „Top oder hopp“, denn in der Selektion kann das Neue entweder gefestigt oder aber abgelehnt werden. Beides hat Folgen für eine Organisation. Diese zeigen sich dann in der dritten Prozessphase, der sog. Re-Stabilisierung. Erst hier wird eine „auserwählte“ Variation zum „Bewährten“ – und kann doch immer noch in Vergessenheit geraten. Und auch eine negative Selektion, das Aussortieren, hat möglicherweise unerwünschte Auswirkungen, wenn später erkannt wird, welche Chancen verpasst wurden. Wie auch immer: ohne Ausdauer kommt das Neue nicht dauerhaft in die Welt.

Mögliche Fragen für Führung, die sich hieraus ergeben, sind etwa:

  • Wie muss die Organisation aufgestellt sein, um Variationen zu erkennen, zu fördern und wirksam werden zu lassen? Kann Variation stimuliert werden? Welche Methoden sind hierfür sinnvoll?
  • Wann macht es Sinn andere, unerwartete Selektionen zu treffen? Wie kann Offenheit und Sensibilität dafür geschaffen werden? Wer hat den Mut zur Abweichung in wertorientierten Systemen?
  • Wer sorgt dafür, dass sich das Neue schließlich dauerhaft etabliert und bleibt? Und wie gehen wir mit negativer Selektion um?

 

 

2. Warum Organisationen stabil bleiben wollen und was das mit Macht zu tun hat.
Jedes Unternehmen möchte überleben und sich selbst erhalten. Das ist die Grundlage von Systemen. Eine Firma, eine soziale Einrichtung will wachsen und weiter bestehen. Alle in der Organisation gehen ihren Aufgaben nach, bieten bestmögliche Angebote für Klient:innen an, wollen dabei mit der Zeit gehen und sich an gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen. Es werden Entscheidungen getroffen und Routine entwickelt. Muster etablieren sich, damit das Ganze stabil bleibt und wir auch morgen die Organisation von heute wiedererkennen. Fehler sollen vermieden werden, Abweichungen sind etwas negatives und das Einhalten von Vereinbarungen und Vorgehensweisen wird positiv bewertet.

Gleichzeitig sucht man nach Informationen in der Umwelt, um sich für die (unbekannte) Zukunft zu rüsten. Neues entsteht durch Abweichung, die positiv bewertet wird. Dazu braucht es Mut und Risikofreude. Jemand muss diese aufbringen, wenn man sich für Innovation entscheidet. Aber wer will den „schwarzen Peter“ haben, wenn es doch nichts wird? Wer trägt das Risiko und verliert dann gegebenenfalls an Macht und Einfluss? Neues verändert bestehende Machtverhältnisse: die Einen gewinnen an Bedeutung, die Andere verlieren.

3. Was Organisationen wissen sollten, wenn sie lernen wollen
Ein zentraler Startpunkt ist die Paradoxie der Selbstreferenz. Konkreter stellt sich hier die Frage, wie Entscheidungsprämissen in Organisationen so gestaltet und verändert werden können, dass sie Innovation ermöglichen? Innovation tritt immer stringent handlungsorientiert auf. Spannend ist es dann, drauf zu achten, wie der Prozess des Innovierens gestaltet wird.

Entscheidend ist, was Tag für Tag gemacht wird, denn „Machen ist krasser als Wollen“. Alle relevanten Zutaten, also die Methoden, Best Practices, Theorien, etc. sind hierfür bekannt, d.h. Innovation selbst (sowohl als einzelne Aktivität, als auch als Programm/Prozess) muss nicht neu erfunden werden. Aber an welchen Stellen der Organisation wird von wem entschieden, was davon umgesetzt wird und was nicht?

Voraussetzung für Lernen in Organisationen ist die Fähigkeit sich selbst zu beobachten:

  • Was tun wir eigentlich und mit welchem Ergebnis (und welchen Nebenwirkungen)?
  • Wo verstricken wir uns in „falsche Kausalitäten“?
  • Was wird beibehalten, was verändert und wo?

Bekannte Fallstricke, die auftreten können: die Organisation verheddert sich in der Paradoxie von Stabilität und Veränderung oder stellt Innovation ins Schaufenster, lebt diese aber nicht intern.

4. Ausblick
Was hilft ist die konsequente Beobachtung und Ordnung – auch um auf stetige (himmlische) Zufallsereignisse vorbereitet zu sein und diese klug in der Struktur zu nutzen.

Niklas Luhmann sagt über Innovation dies sei „[] eine durchaus entmystifizierbare Angelegenheit, nämlich [] die Fähigkeit zum Ausnutzen von Gelegenheiten; oder in anderer Formulierung: [] die Verwendung von Zufällen zum Aufbau von Strukturen.“
Und weiter: „Jemand, der es wissen mußte, ich glaube es war Louis Pasteur, hat gesagt:
Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“

Und es braucht Macht und Mut, um das „Etwas zu machen“ (Appell) und dies gegen Widerstände und die Trägheit in der Organisation durchzusetzen.

 

Was das für die Praxis bedeutet, wie Organisationen der vermeintlichen Notwendigkeit von Innovation ganz praktisch begegnen können, dazu lernen Sie mehr in unserem Seminar:
Innovation in Organisationen, am 01./02. September 2022 in den Räumen des SIFB in Berlin.
Weitere Infos und Anmeldung hier.

Oder schon am 5. Mai bei unserem Vortrag auf der Agile beyond IT Konferenz, 16:00 – 16:45h.

Moritz Avenarius ist systemischer Innovationsberater für Entwicklungsprozesse in die digitale Zukunft. Er hilft Unternehmen Ihre Innovationsdynamik zu steigern.

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